Epik Kurzgeschichte Reisebericht

Auf 66 Pferden durch Dubai

Ein mutmaßlicher Gastarbeiter, in der weißen Uniform unserer Reisegesellschaft, wartet an der Kofferausgabe mit einem kleinen Schild und fährt uns anschließend durch die bereits in Nacht und Licht getauchte Stadt, bis wir nach kurzen zehn Minuten das gebuchte Hotel erreichen. 

So stehen wir nach einem Flug ohne Turbulenzen, bei dem ich vor lauter Service der Fluggesellschaft kaum ein Auge zutun konnte, nun mit großen Augen und offenen Poren mitten in Dubai. Bereits nach ein paar Minuten fließen mir kleine Rinnsale die Wirbelsäule entlang, sammeln sich am Saum meiner Unterhose, um wenig später wie ein Wasserfall weiter nach unten zu stürzen. Auf meiner Stirn bilden sich erbsengroße Schweißperlen, während ich vor dem Hotel stehend, mit weit aufgerissenen Augen ungläubig staunend, in die Umgebung starre. Hochhäuser und Gebäude in den bizarrsten Formen, als wären sie von Kinderhand entworfen, säumen die vielspurigen Straßen. Alles angestrahlt und hell erleuchtet, wie zu Weihnachten. Da ist ein Bleistift, der am Himmel kratzt, neben einem Turm, der an den Tower von London erinnert.  Auf ein Hochhaus haben sie eine goldene Pyramide gepflanzt. Ein weiteres sieht aus, als hätte es eine Krankheit. Goldene Pickel wachsen an seiner Glas- und Blechhaut. Ich sehe Fassaden, die als Labyrinth gestaltet wurden. Manche Häuser sind eckig, andere rund, oder sie sind unten eckig und oben rund. Es gibt ovale, halb ovale, quadratische, dreieckige und welche von undefinierbar Form. Aber alle Wolkenkratzer haben eines gemeinsam, sie sind schmal und hoch, als hätten sie ein Abbo auf Lebenszeit im Fitnessstudio. Unser Hotelzimmer liegt im 38 Stock. Das hört sich nach einem tollen Ausblick an. Ich bin gespannt auf den nächsten Morgen.

Trotz der Affenhitze und der fortgeschrittenen Stunde ist der Bürgersteig vor unserem Hotel, welches auf den schönen Namen Voco hört, voller Menschen. Um leicht bekleidete Touristen kurven Pizza-und andere Boten mit ihren Elektrorollern wie um Slalomstangen. Angestellte und Arbeiter schleppen sich und ihre Einkäufe nach Hause, oder warten in klimatisierten Haltestellenhäuschen auf den nächsten Bus.

Internationale Fastfoodketten und kleine Ladengeschäfte buhlen um Kundschaft. Auch wir greifen nach dem langen Tag zum Vertrauten und werden satt mit Chicken und Pommes. Aufgeregt und erschöpft schlafe ich ein. Auch Ariyana, Mahid und Rahat sinken schlaftrunken in ihre Betten.

Nach einer kühlen Nacht voll tiefem Schlaf schiebe ich als erstes neugierig den Vorhang beiseite. Mein Blick fällt auf eine Mischung aus Appartementhäusern, Moscheen und Baustellen, unterbrochen von waagerecht- und senkrecht verlaufenden Straßen. Alles verläuft rechteckig oder quadratisch, wie auf einem Schachbrett. In drei Kilometer Entfernung liegt bereits das Meer, welches sich in einen Schleier aus feinen Sand hüllt. Im zweiten Stock unseres 50 stöckigen Hotels erwartet uns ein Frühstück wie aus Tausend und eine Nacht. Gebratene Tomaten, getrocknete Tomaten, geschälte Tomaten, warme weiße Bohnen, warme braune Bohnen, Eier gekocht, gebraten, beidseitig gebraten, Wurst als Ganzes, in Scheiben, warm oder kalt, Käse mit Löchern, ohne Löcher, Fladenbrot, verschiedenste Salate, mit allerlei Dressing, Pilze, gebratene Aubergine und Zucchini, frisch zubereiteter Humus, Oliven, Kapern, Thunfischsalat, Brot und Brötchen mit und ohne Körner, in allerlei Formen, Kuchen und Küchlein, Müsli in allen erdenklichen Variationen, Cornflakes, Marmeladen aus aller Herren Länder, frischer Melonen und Kiwisaft, mindestens ein duzend Teesorten und alles was der Kaffeeautomat hergibt. Vier Köche, mit baquetlangen Kochmützen schwingen artistische Pfannen mit Omeletts und Spiegelei. Mein Magen ist deutlich zu klein für die ganzen Köstlichkeiten. Ich komme mir vor wie eine Ameise vor einem leckeren Schoko-Muffin.

Nach einer Stippvisite zum hoteleigenen Pool beschließen wir kurzerhand, es braucht ein Auto um Dubai zu erkunden. Also raus in die Affenhitze, Google gefragt und los geht’s. Nachdem sich der blaue Punkt auf dem Handydisplay wie eine Schnecke der empfohlenen Autovermietung nähert, fragen wir lieber nochmal nach. Diesmal nicht Google, sondern den Verkäufer eines Drogeriegeschäfts, der von weiteren einhundert Metern bis zum Ziel spricht. Nach eineinhalb Kilometern sind wir glitschnass geschwitzt, aber am Ziel. Wir verzichten schweren Herzens auf den Rolls Roys für 4.000 Dirham am Tag, umgerechnet rund 1.000 Euro. Auch den Lamborghini für schlappe 3.200 Dirham gönnen wir uns nicht. Unsere Wahl fällt auf Sunny, einen weißen Nissan, Economy-Klasse, 4 Türen, ein Lenkrad, Automatik und 66 Pferde unter der Haube. Das sind 300 Pferde weniger, als bei einem durchschnittlichen Auto in Dubai. 

Als Erstes galoppiert Sonny mit uns im Sattel inklusive vier Extrarunden zu „The Palm“, einer künstlich angelegten Halbinsel in Form eines Palmenblattes. Die Palme ist vollgestellt mit Apartment-Häusern und Villen. Die Extrarunden gehen auf unseren Deckel, da wir die Ansagen unserer Navigationsapp nicht mit den Hinweisschildern entlang der Straßen koordinieren können.

In einem der Palmen-Apartments macht Rahats Cousine mit ihrer fünfköpfigen Familie einen Zwischenstopp auf ihrer Reise nach Pakistan. Die Familie besteht aus Farah, Rahats Cousine, ihrem Mann Shazad, den zwei Töchtern Anooshey und Rooshaney, einundzwanzig und vierundzwanzig Jahre alt und dem Nachzügler Arsalan. Arsalan ist ein kleiner Junge mit großen, brauen, fast schwarzen Augen, der vor Selbstvertrauen nur so strotzt. Nach einer herzlichen Begrüßung fahren wir weiter zur Dubai Mall, dem größten Einkaufszentrum der Welt. Sunny bringt uns schnell und sicher in eines der kostenlosen Parkhäuser rings um die Mall. Die Einkaufsmeile, hier ist die Meile mal nicht übertrieben, liegt inmitten eines Meers von Wolkenkratzern. Über ihnen thront der Burj Kalhifa, das mit über achthundert Meter das höchste Gebäude der Welt. Im Parkhaus herrscht eine Hitze wie im Saunaaufguss, gepaart mit Geräuschen wie Hauptgeschäftszeit in der tokioter Metro. Die Rolltreppe, die aus dem Parkhaus führt, spuckt uns direkt in die Abteilung mit Düften aus aller Welt. Flakons in allen möglichen und unmöglichen Farben und Formen, präsentiert auf edlen Holz- oder Glastischen, kleinen Regalen, ausgelegt mit Samt und Seide – meine Augen wissen gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollen. Ein Geruchszunami überflutete meine Nase. Es riecht fruchtig, beerig, sandig, holzig, rauchig, frisch, blumig und das alles gleichzeitig. 

Wir schlagen uns eine Schneise durch die Duftfront und telefonieren uns mit der Cousine zusammen, die ein Taxi genommen hat. Vier Anrufe und 50 Schaufenster später haben wir sie zwischen den 450 anderen Geschäften gefunden und setzen unsere Pilgerreise durch den Konsumtempel nun gemeinsam fort. Alle sind sie da, die Chanels, Dolge und Cabanas, Guccis, Pradas, Nikes, Tommys und Hilfigers, Vans und wie sie alle heißen.  Ein Schaufenster üppiger und verheißungsvoller als das andere. Schon nach kurzer Zeit haben wir den Überblick verloren und irren zwischen den Geschäften, weiß- und schwarzgewandeten Einheimischen und Touristen aus aller Herren Länder umher. Es ist von allem zu viel. Es glitzert und klimmert und leuchtet und blinkt. Schuhe und noch mehr Schuhe und noch viel mehr Schuhe, Jacken, Shirts mit aufgedruckten pinkfarbenen Hasen beim Surfen, Löwen die Fahrrad fahren, mit aufgeklebten Legosteinen, Brillen zum Durchschauen und durchgeschaut werden – ach es gibt nichts, was es nicht gibt. Und man kann all das kaufen, wenn man eine Ölquelle, kriminelle Energie oder reiche Vorfahren besitzt. Alles aneinander gereiht in schier endlosen Fluren, in denen sich verschiedene Installationskünstler austoben durften, Hauptsache selfiefähig. Die Flure werden unterbrochen von Kreiseln mit wieder neuen Abzweigen, die wieder zu neuen Fluren führen, die wieder zu Kreiseln führen.

Und wer vom Gaffen, Laufen, Verlaufen, Anprobieren, Kaufen oder Verzichten hungrig wird, hat die Qual der Wahl. Unzählige Bars, Cafés und Restaurants lassen keinen Gaumen unberührt. 

Bis zu diesem Tag hatte ich keine Ahnung, was man aus Hühnerfleisch alles machen kann und in welche Form man Torten zu bringen vermag. Mit Hühnchen, Pommes und Cola im Bauch fragen wir uns zu Sunny durch, vorbei an Uhren im Wert einer Villa in der Toskana.

Da die Cousine mit samt ihrer Familie spontan beschlossen hat, für den Rückweg auf ein Taxi zu verzichten, haben die 66 Pferde ganz schön zu schuften. Die Stadt und Straßen sind so hell beleuchtet, dass mir gar nicht auffällt, dass ich das Licht von Sunny nicht eingeschaltet habe. Vielleicht fällt es mir aber auch nicht auf, weil ich meine Sonnenbrille weiter tragen muss. Meine normale Brille liegt im Hotel. 

Auch der dritte Tag in Dubai beginnt mit dem unvergleichlichen Frühstücksbuffet, an dem ich mich nicht satt sehen, wohl aber viel zu schnell essen kann. Einer von den stets freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeitern des Hotels empfiehlt Rahat ein indisches Gericht namens Dhosa. Ein dünner Teig, ähnlich einem Crêpe, aber noch dünner und fester, gefüllt mit traditionell gewürzten Kartoffelstücken, Zwiebeln, Möhren, Erbsen und Kichererbsen und dann zusammengerollt. Dazu werden zwei verschiedene Soßen gereicht, eine rote und scharfe, die andere weiß und mild. Ich koste und verliebe mich in Dhosa. Der Kellner sieht mich lächelt wissend an.

Anschließend galoppieren wir durch den dichten Verkehr erneut zu Palme. Dort lade ich Shazad ein, der Gefallen an Sunny gefunden hat und nun einen eigenen mieten möchte. Als junger Mann hat Shazad einige Jahre in Saudi-Arabien und Dubai gearbeitet. Als gelernter Elektriker installierte er dort Klimaanlagen. Sein Deutsch ist besser als mein Englisch und so gibt es keine Probleme mit der Verständigung. Ich mag ihn, er ist ein ruhiger, bescheidener Mann, mit einem klaren Blick auf die Welt und er teilt meinen Sinn für Humor. Wir warten zwei Stunden in dem acht Quadratmeter großem Büro des Autovermieters. Wahrscheinlich müssen die Pferde noch gefüttert werden. Mein Sunny wartet auf einem der seltenen Parkplätze an der Straße ebenfalls geduldig in der Sonne. Damit er das ungestraft tun darf, waren sechs Dirham in Münzen fällig, denn anders als in allen Geschäften, kann man beim Parkautomaten nur mit Münzen zahlen. Oder man nutzt eine App, für die man wohl aber eine Dubai-Ident-Nummer benötigt. Ich habe es nicht ausprobiert. Shazad berichtet mir, dass vor 30 Jahren, als er hier auf den Baustellen gearbeitet hat, nur ein paar, vielleicht einhundert Meter hohe Gebäude gestanden haben. Die gesamte Bebauung beidseitig der Sheik Zayed Road, an der unser Hotel liegt und die wie ein tiefes Tal durch das Hochgebirge der in den Himmel schießenden Häuser führt, sei erst in letzten 30 Jahren entstanden. Heute bildet sie das Zentrum von Dubai.

In keinem der beiden Sunnys ist ein Navigationsgerät verbaut. Shazad hat auf seinem Handy keine mobilen Daten. Daher fahre ich voraus, denn ich hatte bereits kurz nach der Landung ein 20 Gigabyte Datenpaket gekauft. Bis zur Palme klappt das gut, dann verliere ich Shazad. Da es auf den Hauptstraßen in Dubai keine Haltebuchten oder Standsteifen gibt, kann ich nirgendwo auf ihn warten. Nach dem ich auf der Palme angekommen bin, vergehen fünf Minuten, dann zehn und zwanzig – von Shazad in seinem Sunny keine Spur. Dann sehe ich ihn direkt an mir vorbeifahren, allerdings auf dem Highway und nicht auf der Nebenstraße, die zum Apartment führt. Eine Stunde und zehn „U-Turns“, klingt besser als Wendemannöver, später hat er dann die richtige Ausfahrt erwischt. Gefühlt sind alle Nebenstraßen der Highways in Dubai Einbahnstraßen. Shazad steigt ruhig aus dem Auto. Ich bewundere ihn dafür. Ohne Navigation und nach Jahren das erste Mal wieder im Rechtsverkehr in einer fremden Stadt umherirren – ich wäre wohl gestorben.

Am Nachmittag besuchen wir den bekanntesten Strand von Dubai, den Jumeirah Beach. Auf dem Weg dahin passieren wir die Strandvillen der Scheichs, riesige massive Prunkbauten. Spitzen-SUV-Modelle aller namhaften Hersteller tummeln sich vor den Villen, wie die Halbstarken samstags Abend halb 11 vor dem McDonalds. Ich stelle mir ein Verkaufsgespräch für ein solches Monster in Dubai ungefähr so vor: Käufer: „Und wie viel verbraucht er denn so?“. Verkäufer: „Um die 20 Liter auf 100 Meilen!“. Käufer: „Das ist viel zu wenig“. Um so prominenter und wichtiger der Besitzer des SUV, um so kleiner seine Nummer auf dem Nummernschild, welches jeweils einen Buchstaben und eine Nummer trägt.  Für die Nummer einhundert legt man angeblich eine halbe Millionen Euro auf den Tisch. Am Strand angekommen, hilft uns ein junges Paar die Coin-Parkautomat-Orgie zu umgehen und bezahlt kurzerhand per App für uns. Das Geld dafür wollen sie nicht haben. Alle Parkplätze in Dubai sind gebührenpflichtig. Jeder Parkabschnitt entlang der Straßen hat eine Nummer. Die und das Kennzeichnen benötigt man, um zu bezahlen. Allerdings kann man das an jedem beliebigen Parkautomaten tun, so das man nicht zum Auto zurückkehren muss, wenn die bezahlte Zeit abgelaufen ist.

Hinter dem Parkplatz Richtung Meer befinden sich einige Foodtrucks, klingt auch besser als Imbisswagen, ein paar kleine Restaurants und ein großer, unüberdachter Bereich mit Duschen. Man mag es kaum glauben, aber wenn man bei 45 Grad skaten möchte, kein Problem. Ein großer Skaterpark wartet auf ein paar Verrückte. Ebenso die sechs Beachvolleyballfelder. Eine Joggingbahn mit federndem Boden trennt den Vergnügungsbereich vom Strand, ein ca. einhundert Meter breiter, weißer Streifen. In wassernähe stehen Sonnenschirme, Liegen und große, bettenähnliche Liegeplätze, für die der Vermieter 400 Dirham aufruft. Wir verzichten und breiten unsere Handtücher direkt auf dem Sand aus. Inzwischen bin ich gut durchgeschwitzt und freue mich auf eine Erfrischung im Meer, welches ruhig vor uns hinschwappt.

Noch kurz in die Badehose geworfen, Ariyana samt Schwimmringe unter den Arm geklemmt und losgerannt. Mit den Füssen bereits im Nass stoppe ich kurz. Das Wasser hat eine Temperatur, wie ich sie bislang nur aus dem Babybecken im örtlichen Schwimmbad kenne. Okay, denke ich, am Rand wärmt sich das Wasser schneller auf und gehe mit Ariyana auf dem Arm Stück für Stück weiter ins Wasser. Es wird kein Zehntelgrad kälter, egal wie weit ich auch gehe. Also tauchen wir ein, in das große, salzige Babybecken und planschen umher. Später borge ich mir Mahids Tauchutensilien und schnorchle unter den wachsamen Augen der drei Bademeister bis zu den Bojen, die circa zwanzig Meter vom Strand entfernt vor sich hinschaukeln. Sie markieren die Grenze, bis zu der man schwimmen darf. Ich entdecke zwei kleine Fische und mehrere Krebse. Es wundere mich, dass diese nicht halb gekocht, mit einer Zitronenscheibe garniert, bäuchlings oben an der Wasseroberfläche treiben. Am Strand türmen sich Muscheln und Schneckenhäuser in verschiedensten Formen und Farben. Bei näherem Hinsehen entdecke ich auch einige Reste von Korallen. Der Strand ist gut besucht, aber nicht überfüllt. Hin und wieder ertönen die Pfeifen der Bademeister, die hier ein strenges Regime führen.

Nach eineinhalb Stunden am Strand senkt sich die Nacht über Dubai. Wir packen zusammen, duschen warm, denn kaltes Wasser gibt es hier nicht und machen uns auf die Suche nach einem Platz zum Abendessen. Die handygestützte Wahl fällt auf das „Salt“, ein einfacher Bau, aus Holz und Steinen, direkt am Strand. Es ist spartanisch mit, in türkisblau gestrichenen Gartenstühlen und Tischen, eingerichtet. Das Menü birgt keine Überraschungen, Pommes, Hühnchen, Hühnchenburger und Burger mit Beef, dazu Cola oder andere Softdrinks. Für die Bestellung muß sich Rahat vor einem Schalter in eine Schlage von Hungrigen einreihen. Bis uns dann eine blinkende schwarze Untertasse mit einem schrillen Pieplaut mitteilt, dass unser Essen fertig ist, vergehen fünfundvierzig Minuten. Die Pommes sind gut, der Burger schmeckt mittelmäßig. Erst später stelle ich fest, dass es sich bei „Salt“ um ein Restaurant des berühmten Metzgers und Influenzers Nusret handelt. Das erklärt auch den Andrang in der aufgepeppten Gartenlaube. Ich glaube, Nusret könnte Pferdemist verkaufen, wenn er nur mit seiner berühmten Geste, dem angewinkelten Ellenbogen, Stroh darüber streut.

Nachdem wir mit Sunny zurück ins Hotel galoppiert sind und er von einem freundlichen Hotel-Mitarbeiter zu seinem Schlafplatz für die Nacht gebracht wird, fallen wir in unsere Betten. Dubai macht müde, aber auch Lust auf mehr, wie eine Sucht.

Dubai hat sieben Wasser-Vergnügungsparks und den größten und angeblich schönsten, möchte man den Bewertungen bei Google Glauben schenken, werden wir in einem der nächsten Tage testplanschen. Da sich meine Frau vor ihrer Familie nicht im Badeanzug zeigen möchte, bringt uns Sunny nach dem Frühstück erneut zur Dubai Mall. Rahat meint, dass wir die Kinder für die eine Stunde im Hotelzimmer lassen können. Ich stimme zu, wohl ahnend, dass Stunde nicht gleich Stunde ist.

Es ist schwieriger als vermutet, ein langärmeliges Schwimmdress zu finden. Das verwundert mich, gehen doch die allermeisten einheimischen Frauen nur lang begleitet ins Wasser. Nach zweieinhalb Stunden ist es uns dann doch gelungen. Oberteil von Nike, lange Leggins aus dem Decathlon.

Anschließend sacken wir die Kinder ein und fahren weiter. Diesmal zur Gold Mall, einer Einkaufsmeile unter freiem Himmel jenseits der Welt der Wolkenkratzer. Hier reiht sich ein Schmuckgeschäft an das andere. Die Schaufenster der Geschäfte verheißen nicht weniger, als das jede Frau zu einer Märchenprinzessin werden kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ihr Prinz oder sie selbst über das nötige Kleingeld für die Verwandlung verfügt. Die unzähligen Diamanten, Brillanten und anderen Edelsteine funkeln wie die Sterne in den unendlichen Galaxien. Unendlich sind auch die Formen der Ketten und Gehänge aus Gold, Weißgold und Silber. Bei manchen der Gehänge aus Gold, die bis zum Bauchnabel der Trägerin reichen, frage ich mich, ob man dies drüber oder drunter trägt, oder vielleicht auch nur diese. In den Nebenstraßen der Gold Mall befinden sich zahlreiche kleine Ladengeschäfte, die mich stark an die Basare mit Original Niki, Adiddddas, Guggi und Prada-Kleidung in der Türkei erinnern. Innerhalb von fünf Minuten hätte ich zum stolzen Besitzer mehrerer Rolex Uhren werden können, natürlich zu einem Good Price. Ein Fest für die Sinne sind die Gewürzläden mit ihren Auslagen und Düften, die wie Leuchttürme zwischen den Läden mit dem billigen Ramsch hervorblinken. Intensives Rot, Gelb, Grün, Braun, Schwarz, Orange strahlen mir entgegen. Vor allem der rote Safran sticht ins Auge. In kleinen Schalen wird ein holzähnliches Material verbrannt, dessen schwerer, holziger Duft, der ein wenig an Weihrauch erinnert, in kleinen Rauschwarten in Richtung der Touristennasen zieht.

Die Familie der Cousine ist bereits ebenfalls auf der Gold Mall eingetroffen. Wir treffen sie in einem Geschäft mitten in Verhandlungen. Farah wird von Shazad mit Diamantohrringen beschenkt. Die Ohrringe haben eine rechteckige Form und sind etwa Daumennagel groß. Die Mitte ziert ein großer, rechteckiger Rubin, gesäumt von lauter kleinen Diamanten. Nach zähen Ringen, bei dem die Verkäufer so schauen, als hätte man ihnen den Lolly weggenommen,  wandern die Ohrringe für 3.500 Pfund über den Tresen und an die Ohren der  Cousine. Meine Bedenken, dass es sich nicht um echte Steine, sondern Circone handeln könne, weist Rahat vehement zurück. Vergleichbarer Schmuck sei in Europa viel teurer und natürlich seien die Steine echt. Mir bleiben Zweifel, dass an einem Ort, an dem an jeder Ecke mit plumpen Fälschungen gehandelt wird, allein der Schmuck echt seien soll. Vielleicht sind es ja die ganzen Louis Vuitton Taschen, Jacken, Shirts und Schuhe, die durch Offenbach laufen, auch. Rahat kauft einen Ring mit einem großen Diamanten in der Mitte, der ansonsten in schlichtem Weißgold gehalten ist. Ich hatte im Vorfeld des Urlaubs ein unausgesprochenes Versprechen eingelöst und ihr tausend Euro für einen Ehering überreicht. Nein, nicht überreicht, sondern an einen herzförmigen, roten Luftballon gebunden. Tausend Euro steuerte Rahat selbst bei. Also möchte sie beisteuern, aber deutsche Volksbanken scheinen in Dubai nicht den besten Ruf zu genießen. Liegt wahrscheinlich am Namen. Jedenfalls tut es weder EC noch Kreditkarte. Kein Problem, die Sparkasse scheint einen besseren Ruf zu haben.  Merkwürdig – Dubai sieht nirgendwo nach Sparen aus.

Nach der Gold Mall laufen wir zum nahegelegenen, alten Hafen von Dubai. Wirklich alt erscheinen hier nur die Boote. Wir mieten ein kleines, vielleicht sechs Meter langes Holzboot inklusive Bootsführer für eine Bootstour durch das Hafengebiet. Das Boot hat einen in etwa handtuchbreiten Überbau, der Schatten spenden soll, dies aber nur mäßig tut. Nur dreißig Prozent der Menschen, die Dubai leben, sind Eingeborene, also Emirates. Die große Mehrheit bilden Gastarbeiter, meist aus asiatischen Ländern, so wie unserer Bootsführer, der aus Pakistan stammt. Shazad kommt mit ihm ins Gespräch und fragt nach ihn nach seinen Arbeitsbedingungen und ob ihm das Boot selbst gehört, was dieser verneint. Er bekommt einen Tagessatz, über dessen Höhe er schweigt. Shazad berichtet mir, dass die Gastarbeiter oft zu zehnt oder mehr in kleinen Apartments jenseits der Glitzerwelt leben. Immer zwei Arbeiter teilen sich ein Bett. Schläft der eine, arbeitet der andere und umgekehrt. Trotzdem sind sie froh, ein Arbeitsvisum für die Vereinigten Arabischen Emirate bekommen zu haben, ohne das sie hier weder arbeiten noch leben dürfen. Die Arbeitszeiten betragen 50 Wochenstunden und mehr. Ihr Lohn liegt oft unter 500 Euro pro Monat. Der Putzmann in unserem Hotel bekommt nur 300 Euro. Er träumt von einem Leben in Europa. Von dem wenigen Geld schicken die Arbeiter den Großteil in ihre Heimat. Dort leben ganze Familien davon. Eine andere Welt als die, in der inzwischen fast 70.000 Millionäre wohnen.

Auf dem Boot macht mein Kreis schlapp. Ich trinke eine Halbliterflasche warmes Wasser auf Ex. Das hilft. Im Hafen liegen viele alte, größere Holzschiffe. Von weitem sehen sie aus, wie die Dekoration aus einem Piratenfilm. Bei näherer Betrachtung sehe ich aber, dass diese bis unters Dach durch fleißige Hände mit allerlei Säcken, Kisten, Kartons und Tonnen beladen werden. Die Schiffe sind circa dreißig Meter lang. Ihre ehemals bunte Bemalung ist in inzwischen in der Sonne ausgeblichen.

Nach Sonnenuntergang bringt uns Sunny wieder einmal zur Dubai Mall, die abermals als Ort zum Abendessen bestimmt wurde. Ich entscheide mich für indisches Essen, welches auf einem Tablett in Rahats Händen zu mir findet, auch wenn wir vor dem Original German Döner Stand sitzen. Hier war ein Tisch frei, an dem wir alle Platz haben. Das Essen schmeckt gut. Kurz vor dem Essen gönnte Rooshaney, die ältere der beiden Töchter, sich noch zwei Brillantohrstecker von Maria Tash, die ihr mitten ins Ohr geschossen werden. Für das stecknadelkopfgroße Funkeln ruft Maria, von der ich vorher noch nie gehört habe, mehr als tausende Euro auf.

Nach dem Essen muss erneut der Nikestore aufgesucht werden, um die von Rahat für Farha mitbekaufte Badekleidung umzutauschen, neue anzuprobieren, wieder zurückzuhängen, um weitere zu finden, anzuprobieren, zu betrachten, zu überlegen und wieder zurückzugeben. Ich nutze diese Stunden, um die größten Wasserspiele der Welt zu betrachten, die jeden Tag ab 18 Uhr halbstünding in einem riesigen, künstlich angelegtem Becken zelebriert werden, auf das man direkt aus dem Nikestore blicken kann. Ein Orchester aus Lichtern, tanzendem Wasser und arabischer Musik,  so schön, dass das Wasser nicht nur in die Höhe, sondern auch in meine Augen schießt. 

Bevor wir am nächsten Tag in die Gänge kommen, ist es für den Aqua Park schon zu spät, denn bei Eintrittspreisen von 60 Euro pro Person, ohne Ermäßigung für Kinder, lohnt sich das Unterfangen für ein paar Stunden nicht.  So fährt uns Sunny auch an diesem Tag zu Palme, mich und Shazad dann aber weiter zum alten Kern von Dubai, der sich auf der anderen Hafenseite gegenüber der Gold Mall befindet. Auf einem Areal von etwa 500 Meter Länge und 50 Meter Breite reihen sich zweistöckige Häuser mit Natursteinsockel und hellbraunen Putz aneinander. Schmalen Gassen, in denen ausgemergelte Katzen im Schatten vereinzelter Bäume vor sich hindösen, führen von einem Haus zum anderen. Heute wohnt oder arbeitet hier niemand mehr. Alle Gebäude sind aufwendig renoviert und als Museen hergerichtet. Eingezogene Glasfronten sorgen für ausreichend Lichteinfall und die allgegenwärtige Klimatisierung dafür, das wir bei 43 Grad überhaupt an einen Museumsbesuch denken können. 

Nachdem wir zehn Coins in den Parkscheinautomaten gequetscht haben, kauft Shazad zwei Eintrittskarten. Diese werden in Form eines QR-Codes auf einem Monitor angezeigt und müssen mit einem Handy abfotografiert werden. Wir starten mit dem Parfummusuem. Ein freundlicher Mitarbeiter in einem kleinen Vorraum scannt unsere Codes, nachdem Shazad sie in seinem Handyfotoalbum wiedergefunden hat und wir treten ein. Im ersten Raum werden die verschiedenen Grundstoffe und Essenzen, die man für die Herstellung von Parfums früher und auch teilweise noch heute verwendet, vorgestellt. Eine Essenz, das sogenannte Oud stammt aus dem Harz des südostasiatischen Adlerholzbaumes. Es entsteht, wenn der Baum von einem speziellen Pilz befallen wird. Der Baum schützt sich, indem er ein duftendes Harz absondert. Aus diesem Harz-getränkten Kernholz stammt das kostbare Oud. In einem aufwendigen Prozess aus Erhitzen, Waschen und Filtrieren wird aus dem Harz in eine Essenz verwandelt, die später, als Bestandteil eines exklusives Parfums Menschen attraktiver machen soll. In gläsernen Schaukästen werden Stücke von besagtem Holz und verschiedene Fläschleins, Flakons, Pipetten, Thermometer, Trichter und Filter, die zur Gewinnung der Essenz benötigt werden, gezeigt. 

Eine andere Essenz, das berühmte Amber, wird aus den Ausscheidungen von Pottwalen gewonnen. Nein, nicht einfach aus den Ausscheidungen, denn dann wäre ein Kilogramm nicht fünfzigtausend Euro wert, da Pottwale in der Regel sicherlich regelmäßigen Stuhlgang haben.  Wenn etwas in den Magen des Pottwals gelangt, was er nicht verdauen kann, zum Beispiel Schnabelreste, so wandern diese weiter in den Darm und werden dort mit einer Schutzsubstanz umhüllt. Sobald der Pottwal die Schutzsubstanz dann ausscheidet und diese mit Sonne, Luft und Wasser in Kontakt kommt, entwickelt sie sich in einen unvergleichlich betörenden Duft – eben Amber. Bei mir führt der Konsum von Unverdaubarem zu anderen Resultaten. Trotzdem möchte ich nicht mit dem Pottwal tauschen.

Einen Schaukasten weiter erfahren wir, dass vierzigtausend Rosenblüten nötig sind, um eine Essenz von gerade mal drei Schnapsgläsern voll Rosenwasser herzustellen. Auch der Prozess zur Gewinnung von Safran und anderen Essenzen ist ausführlich beschrieben und bebildert. In einem weiteren Raum kommt dann endlich meine Nase auf ihre Kosten. Auf dem Boden stehen verschiedene Glaszylinder, deren Inhalt durch messingfarbene Rohre bis auf eine riechbare Höhe transportiert wird. Ich stecke meine Nase in jedes Rohr.  Eines riecht blumig nach Rosen, ein anderes nach Waldbrand. Ich rieche wundervolle, nasenverwöhnende Noten von Tabak, Zitrone, Lavendel, Amber, Oud und unbeschreiblich scheußliche Düfte, bei der sich meine Nase in Falten legt. Vielleicht hat der Pottwal doch mal etwas anderes ausgeschieden. 

Ein weiterer Raum beherbergt wunderschöne, handgefertigte Flakons, die die Exklusivität der Düfte eindrucksvoll versinnbildlichen. Heute wird ein Großteil der Essenzen synthetisch hergestellt. Die so gemixten Düfte reichen an die organischen Originale so wenig wie ein Frosch an einen weißen Schwan.

Nach dem Parfummuseum durchstreifen wir nach das Architekturmuseum, eine Art Geschichtsmuseum, welches sich allerdings auf die letzten einhundertfünfzig Jahre konzentriert und ein Museum für traditionelle Handwerkskunst. Verrückt, wie viel Gebrauchsgegenstände früher aus einem Material hergestellt wurden. Aus Bast zum Beispiel Schuhe, Fahnen, Körbe, Teppiche und  Seile. 

Geistig gut gesättigt satteln wir Sunny und reiten zurück zur Palme, vorbei an der Yacht des Scheichs, die im Industriehafen vor Anker liegt und auf den Namen Dubai hört. Sie ist aufgrund ihrer immensen Größe von weitem gut sichtbar.  An diesem Abend muss die Dubai Mall ohne uns auskommen. Wir bestellen online Biryani, ein indisches Gericht mit Hühnchen und Reis, welches von einem Lieferdienst zur Palme gebracht wird. Dubais Straßen sind voll mit Boten auf leichten Motorrädern, die alle möglichen und unmöglichen Waren nach Haus bringen. Du hast Schnupfen, okay, online Nasentropfen bestellt und 20 Minuten später klingelt ein mehr oder minder freundlicher Bote und bringt dir deine Nasentropfen. Natürlich akzeptiert er Kartenzahlung. Deine Katze hat keinen Appetit auf Lachshäppchen, kein Problem, in 20 Minuten bringt der Bote gequirlte Maus. Nachts leuchten die quadratischen Lieferboxen auf den Gepäckträgern der Motorräder wie rollende Aquarien. Alle sind mit den eingängigen Logos des jeweiligen Lieferdienstes bedruckt.

Der nächste Tag gehört dem Aquapark. Der Adventure Aquapark ist nicht nur der Größte Dubais, sondern laut Internet auch der Tollste. Er liegt am äußeren Rand der Palme und damit direkt am Meer.  Ein Bus bringt uns vom Parkplatz zum Eingang, der unmittelbar neben dem beeindruckenden fünf Sterne Hotel Atlantis liegt. Um 11 Uhr ist schon die Hölle los. Neugierige Kinderaugen, lärmende Jugendliche, genervte Eltern – alles strömt Richtung Wasser. Nach dem wir unsere Kleidung losgeworden sind, strömen wir mit. Der Park ist thematisch in fünf Abschnitte gegliedert. Wir starten in der Kinderwelt, die sich als ein riesengroßes Klettergerüst, an dem an allen möglichen und unmöglichen Stellen Wasserrutschen angedockt sind, entpuppt. Das Wasser ist angenehm kalt und überall. Es rieselt, es spritzt, es plätschert, oder wird in großen Schwallen geschüttet, von oben, von unten und von der Seite. Überall ist auch das Geschrei, aus Angst oder Vergnügen. Rund um das Wasserrutschenmonstrum sitzen die Eltern im Becken und kühlen ihre Körper. Trotz vieler Sonnenschirme und Liegen am Rande des Beckens, ist es nur im Wasser auszuhalten. Und wenn man sich nicht die Hornhaut wegbrennen will, sind Latschen oder Badeschuhe aus Stoff Pflicht. Die Badeschuhe kann man ebenso kaufen, wie wasserdichte Handyhüllen. Letztere kosten 14 Euro und baumeln an jedem zweiten Hals. 

Nachdem jede Rutsche mehrmals berutscht wurde und ich feststellen durfte, dass mein Sonnenschutzöl stark beschleunigende Wirkung hat, geht’s weiter zur nächsten Station. Hier erwartet uns ein nachempfundener Gebirgsfluss, der auf Gummiringen befahren wird. Es gibt Doppelringe für Eltern mit kleineren Kindern. Wir pressen unsere Hinterteile in die Ringe und lassen uns treiben. Vorbei an Stromschnellen, Wellen die uns seitwärts und längs schwappen, unter künstlichen Brücken hindurch und durch Wasserfälle. Dann zieht uns ein Ringförderband hoch, um uns mit frischem Schub in den nächsten Abschnitt zu spülen. Ariyana hat Riesenspass. Also drehen wir zwei Runden. Natürlich ist sie der Kapitän und sitzt vorne. In der zweiten Runde muss Ariyana aufs Klo. Wir legen mit unserem Ring in einer unbekannten Bucht an. Die einhundert Meter bis zur nächsten Toilette fühlen sich ohne schützendes Schuhwerk an, wie nackig durch die Wüste zu laufen. Ich habe das Gefühl, dass es nach verbranntem Fleisch riecht. Nach dem Gang setzen wir unsere Reise fort, bis wir wieder am Ausgangspunkt angespült werden. Die Mischung aus Affenhitze, warmen Wasser und Bewegung gefällt meinem Kreislauf nicht. Ich besteche ihn mit einem halben Liter Wasser, was er halbherzig annimmt.

Mit einem kleinen Elektrobus lassen wir uns zum nächsten Thema kutschieren, der Rutschwelt für Erwachsene. In der Mitte steht ein Turm mit Treppenhaus, von dem ausgehend die Rutschen auf verschiedenen Höhen starten. Er ragt wie ein Leuchtturm in die Höhe und verbreitet Respekt. Es gibt Rutschen, auf denen man Kopf voran auf einer Matte nach unten schießt. Bei anderen sitzen mehrere Menschen in einem großen Ring, auf dem sie rotierend in Spiralen, Kurven und auf Rampen nach unten gerauscht werden. Oder man nutzt klassisch den Hosenboden. Egal ob dünn, dick, braun, weiß, rot, es flutscht, rutscht, spritzt, flitzt und jauchzt in jeder Rinne. Für mich ist die Besteigung des Turms die größte Herausforderung. Oben angekommen schlägt mir das Herz bis zum Hals und mir dreht es wie nach drei Stunden Dauerrutschen. Als erstes schwinge ich mich auf eine Rutschmatte und schieße die Lila Rutschbahn Kopf voran hinunter.  Die weiteren Rutschen haben andere Farben.  Vor der Rutschring-Bahn herrscht reger Andrang. Wir reihen uns ein und werden nach 20 Minuten Wartezeit gewogen. Ich habe zu wenig gegessen, so dass wir in der Schlange nach zwei Mitrutschern suchen müssen. Ariyana klemmen wir auf dem Boden des Rings ein. Dann geht es ab und wie. Auf der breiten Rutschbahn schwappen wir nach links bis an den Rand und wieder zurück, während der Ring sich dreht.  Kurve um Kurve werden wir schneller, bis wir final in ein großes Oval katapultiert werden, welches wie ein Nussschale gekrümmt ist. Also nochmal hoch und dann in die Ausrutschzone. Ariyana ist Weiß wie eine Kalkwand, will aber nochmal. Diesmal wählen wir die angeblich abgespeckte Variante. Von wegen, zum Ende der Bahn fühlen wir uns wie ein Skispringer nach dem Absprung vom Schanzentisch, bevor uns die Rutsche wieder in ihre Arme schließt. 

Das nächste Thema gleicht ein wenig unserer zweiten Station, dem nachempfundenen Gebirgsbach. Diesmal gibt es keine Ringe, sondern Schwimmwesten. Und wieder treiben wir durch Stromschnellen, Wellentäler und unter Wasserfällen hindurch.

So vergehen sechs Stunden wie gerutscht und schon stehen wir wieder in der Umkleide, die jetzt proppenvoll ist.

Zum Abschluss des Tages überraschen wir mal eine andere Mall mit unserem Hunger, bevor uns Sunny wohlbehalten im Hotel abliefert.

Sonntag reist Farah mit ihrer ältesten Tochter und dem kleinen Sohn weiter nach Karachi zu Verwandten und Shazad mit Tochter zwei zurück nach Birmingham. Auf dem Weg zum Flughafen statten sie uns noch einen kurzen Besuch in unserem Hotel ab und werden von uns mit reichlich Essen vom Frühstücksbuffet versorgt, welches wir in Lunchtüten mitgenommen haben. Bei manchen Hotelgästen liegt die Vermutung nah, dass sie ganze Wohnviertel von Dubai mit den Lunchtüten des Voco-Hotels versorgen.

Nachdem die Familie abgereist ist, schwingen wir uns in Sunny und besuchen eine andere Mall, über die im Internet geschrieben steht, dass sie besonders preiswert ist. Das Parkhaus ist überfüllt, genauso wie die Mall. Ja, hier ist alles billig. Nachgemachte Parfums werden einem von kleinen Verkaufsinseln entlang der Flure von Menschen mit sehr langen Armen in die Nase gedrängt. Im Erdgeschoss reiht sich ein Asia-Geschäft an das andere und preist seine Ware an. Hier begegnen uns in den Fluren keine weißgewandeten Einheimischen, mit ihren ganz in schwarz gekleideten Frauen, die bestückt mit ihren Gucci-Täschlein am Arm und Klunkern an jedem Finger, im gebührenden Abstand folgen. Ich vermute, dass die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate jedem Staatsbürger einmal im Jahr das neueste und beste Handy mit dem Apfel kostenlos nach Hause schickt.

Auf alle Fälle machen die Emirates dem großen Bruder Saudi-Arabien mit kluger Politik und geschickten Investitionen die Vormachtsstellung in der Region streitig. Das Öl in Dubai ist so gut wie alle. Abu Dhabi hat bei gleichbleibender Fördermenge noch Öl für 40 Jahre. Spätestens dann bedarf es anderer, sprudelnder Quellen. Dubai möchte als Wissenschafts- und Zukunftszentrum Menschen aus allen Ländern anlocken und ist hier auf einem guten Weg. Außerdem baut Dubai in der Wüste einen riesigen Solarpark, der bereits in 5 Jahren 25% des enormen Energiebedarfs des Landes decken soll. 

Später, so der Plan, soll mit der allseits vorhandenen Sonnenenergie Wasserstoff hergestellt werden, der dann, wie heute das Öl, in die anderen Industriestaaten exportiert wird. 

Montag müssen wir uns schweren Herzens von Sunny trennen. Aber nicht, bevor uns ein letztes Mal zur Dubai Mall gebracht hat. Wir kaufen Mitbringsel und Andenken für die daheim gebliebenen.

Zurückgekehrt lassen wir uns in der Hotellobby zu einem Sushi-Buffet am Abend im 49 Stock unseres Hotels überzeugen. 

Den Nachmittag verbringe ich am Hotelpool. Der Rest der Familie hält einen ausgedehnten Nachmittagsschlaf.

Dann ist es so weit. Ein Fahrer der Autovermietung holt Sunny am Hotel ab. Ich spreche ein paar stumme Dankesworte und tätschle ihm ein wenig sein Blechkleid.

Die Räumlichkeiten im 49 Stock enttäuschen uns. Tische, Stühle und Bar sind in die Jahre gekommen und versprühen den Scharm einer Eckkneipe. Es riecht nach Rauch. Einzig allein der Ausblick durch die bodentiefen Fenster auf das nächtliche Lichtermeer von Dubai ist fantastisch. Ich gönne mir ein Glas Weißwein für schlappe 48 Dirham. Dafür gibt’s ein halbgefülltes Glas besseren Hauswein. Egal wie weit sich Dubai der Welt bislang geöffnet hat, Alkohol gibt es nur im Hotelausschank und das zu entwöhnenden Preisen. 

Das Sushi-Buffet ist übersichtlich, aber mit allerlei Leckereien bestückt, die wir bislang so nicht kannten. Auch die Qualität der verschiedenen Meeresfrüchte, der Reisröllchen, Soßen, Dips und Salate ist sehr gut. Alles schmeckt frisch. 

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen teste ich meine neu erworbene Hitzebeständigkeit und unternehme einen kleinen Spaziergang entlang der Sheikh Zayed Road. Mit einer Flasche Wasser bewaffnet passiere ich das Future Museum, welches mir von der anderen Straßenseite entgegenstrahlt. Es wurde am 22. Januar 2022 eingeweiht und hat die Form eines großen, blechernen Ei’s, mit einem, nicht ganz mittig angeordneten, ovalen Loch. Der südafrikanische Architekt spricht von einem stilisierten Auge, durch welches man in die Zukunft schauen kann, sagt Google. Die verchromt strahlende Außenhaut zieren unzählige, arabische Schriftzeichen. Alles in Allem ein echter Hingucker.

Zwei Kilometern später ist mein Wasser alle und ich trete den Rückweg an. Zurück im Hotelzimmer werfe ich einen Blick auf die mitgeführten Laufschuhe und muss lächeln. Tatsächlich hatten wir uns im Vorfeld der Reise ausgemalt, wie wir in den Abend- oder Morgenstunden durch Dubai joggen. So hatten wir das auch im Türkeiurlaub gehandhabt. Halb fünf in der Früh aufgestanden und in den Morgenstunden gelaufen, bevor die Sonne ihre volle Kraft entfaltet. Daran ist in Dubai nicht zu denken, weder morgens, noch abends, noch überhaupt irgendwann. So gänzlich ungenutzt dürfen die Schuhe aber nicht die Heimreise antreten. Also testen wir die Laufbänder im hoteleigenen Fitnessstudio, welches ebenfalls auf Ebene sieben liegt, kurz vor dem Swimmingpool. Nach einer Stunde Lauf durch virtuelle Stadtviertel, Wüsten und an Küsten entlang habe ich zehn Kilometer auf der Uhr und bin eine Erfahrung reicher, ich kann doch mit Laufbändern.

Für den letzten Nachmittag in Dubai haben wir das Auge ins Auge gefasst, auch wenn ich das Gefühl habe, dass wir in den vergangenen Tag genug Zukunft gesehen haben. Sunnylos soll uns nun die Metro zum nahegelegenen Museum bringen. Die nächste Station ist einhundertfünfzig Meter vom Hotel entfernt und klimatisiert. Für rund 7 Euro pro Person dürfen wir zwei Stationen hin und wieder zurückfahren.

5 Rolltreppen später stehen wir am Bahnsteig, der auf der anderen Straßenseite gelegenen Metro. Die Gleise sind mit einer durchgehenden Glaswand geschützt, in der in gleichen Abständen der Metrowagontüren ebenfalls automatische Glasschiebetüren eingelassen sind. Wie von Zauberhand hält der Zug dann auf den Zentimeter genauso an, dass die Tür übereinander liegen.

Der Boden in der Metrostation ist so sauber, als würden die Menschen schweben. Und wenn doch mal jemand auf den Boden sabbert, tropft oder kleckert, kommt aus irgendeiner Ecke eine Reinigungskraft mit Wischmopp geschossen.

Das Benutzen der Metro scheint für die Einheimischen verboten. Auf den Sitzen und in den Gängen drängeln sich neben Touristen vor allem Gastarbeiter.

Nach einer Station sind wir bereits am Ziel. Die Metrostation ist über einen, ebenfalls klimatisierten, Gang direkt mit dem Museum verbunden. Die Eingangshalle des weiß erstrahlenden Gebäudes ist gut gefüllt. Geschlungene Treppen führen in verschiedene Stockwerke. Vor drei transparenten Aufzugsröhren, in denen Aufzüge, die aussehen wie eine Kapsel gegen Magenschmerzen, hoch und runter schießen, stehen Trauben von Menschen. Ein Roboterhund, in der Größe eines Schäferhundes, läuft in sehr geschmeidigen Bewegungen durch die Halle und wird sofort von offenen Mündern umringt. Handys werden gezückt und mutige Kinder möchten das Hund-Maschine-Wesen am liebsten streicheln, was wachsame Museumsmitarbeiter unterbinden. 

Nachdem der Hund zurück im Körbchen ist, taucht plötzlich eine große, beflügelde Robbe am Himmel der Eingangshalle auf. Sie dreht ihre Runden mit anmutigen Flügelschwingungen, flüssig, wie bei einem echten Vogel.

Wir staunen Bausteine. Den meisten Menschen um uns geht es offensichtlich genauso. Noch beeindruckter sind wir dann, als wir die Eintrittspreise sehen. Ich hatte im Internet gelesen, das der Eintritt 40 Dirham pro Person beträgt. Da hatte ich mich wohl verschaut. 140 Dirham werden für die Zukunft fällig. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit verzichten wir und treten, mit einem Zwischenstopp in nahegelegenen Nandos-Restaurant, die Heimreise zurück ins Hotel an. 

Nach der Henkersmahlzeit am nächsten Morgen suche ich letztmalig einen der kleinen Läden in hotelnähe auf. Ein Duft hat es mir angetan, der durch die Hotelflure strömt, orientalisch, würzig, schwer. Nach einigem Suchen finde ich die entsprechenden Dosen, die ein goldener Verschluss ziert. 

Gegen Mittag bringt uns ein kleiner Bus zum Flughafen. Zehn Grad kälter und ich hätte mich nur unter Tränen von Dubai trennen können. So freue ich mich auch ein wenig auf Wälder und Felder in Deutschland.

Danke Sunny, Danke Dubai – Du bist so ganz anders, als vermutet. Meine Vorurteile sind wie Wüstensand in meinen Händen zerronnen. Hier ist die Zukunft, heute und ganz sicher morgen.

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